Katina Thelin (Moderatorin) und Hans-Åke Scherp, ECER, Porto, 3. September 2014
Zusammenfassung
Diese Publikation beschreibt die Ergebnisse eines schwedischen Schulentwicklungsprojekts, bei dem der Entwicklungsprozess als Kurs für „systematischen Wissensaufbau“ auf Basis von täglichen Problemen entworfen und strukturiert wurde. Das Konzept des Wissensaufbaus wird häufig verwendet in dieser Präsentation und bezeichnet die Lernprozesse, bei denen die Lernenden aktive Mitschöpfer von Wissen sind, da sie als Forscher agieren. Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Motivation der Lehrer, sich an dieser Arbeit zu beteiligen, abhängig ist von der Auswahl und Konstruktion dieser Fragen. Als eher allgemeines Ergebnis stellte sich heraus, dass Variation eine wichtige Rolle bei diesen Prozessen spielt und dass die Kapazität der Lehrer, Variation zu handhaben und zu nutzen beim gemeinsamen Lernen, wichtig ist. Auf Grundlage dieser Ergebnisse empfiehlt sich, dass Schulleiter zumindest zu einem gewissen Grad die Rolle eines Forschungsleiters innerhalb ihrer eigenen Schule übernehmen.
Stichworte: Kurs-basierte Schulentwicklung, Wissensbildung, Management des Lernens, Lernende Organisation, problemorientierte Schulentwicklung, professionelle Lerngemeinschaft, Variation (Vielfalt)
Einführung
In den letzten Jahrzehnten haben Forscher und Führungskräfte die Bedeutung der Schulen als lernende Organisationen (siehe zum Beispiel Argyris & Schön, 1978; Senge, 1995) oder als professionelle Lerngemeinschaften (Stoll & Louis, 2007) hervorgehoben als Möglichkeit, mit der Beschleunigung von Veränderung umzugehen. Es existiert auch starkes Einvernehmen unter Forschern darüber, dass sich die Verbesserung der Schule am deutlichsten zeigt, wenn sich Lehrer und Schulleiter für die Forschung und das Lernen in ihrer täglichen Praxis engagieren. Aufbauend auf ihren selbst produzierten Forschungsergebnissen werden Lehrer und Schulleiter zu den Hauptakteuren beim Wissensaufbau darüber, wie das Lernen und die Entwicklung von Kindern bestmöglich beeinflusst werden kann (Hattie, 2009; Holtapples, 2009; Robinson, 2007; Scherp & Scherp, 2007; Timperley, Barrar & Fung, 2007). In Schweden deckt sich diese Ansicht mit dem politischen Ehrgeiz, der sich im neuen Schulgesetz wiederspiegelt. Das neue Schulgesetz legt fest, dass Bildung sowohl auf wissenschaftlicher Prämisse als auch auf nachgewiesener Erfahrung basieren muss (Kapitel 1, § 5).
Diese Publikation beschreibt die Ergebnisse eines schwedischen Schulentwicklungsprojekts an zwei Schulen, bei dem der Entwicklungsprozess als Kurs für „systematischen Wissensaufbau“ auf Basis von täglichen Problemen entworfen und strukturiert wurde. Das Konzept des Wissensaufbaus wird häufig verwendet in dieser Präsentation und bezeichnet die Lernprozesse, bei denen die Lernenden aktive Mitschöpfer von Wissen sind, da sie als Forscher handeln.
Das für das Projekt verwendete Modell und die Strukturen finden ihren Ursprung in einem Schulentwicklungsansatz, der in Schweden als problemorientierte Schulentwicklung bekannt wurde (Scherp, 2003).
Lernende Organisationen und problemorientierte Schulentwicklung
In einer lernenden Organisation wird die „von unten nach oben aufbauende“ (Bottom-up) Perspektive bei der Schulentwicklung betont und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeiter werden gestärkt. Eine lernende Organisation wird charakterisiert durch mehr Bewusstsein und systematische Erlebnispädagogik auf der Einzel-, Gruppen- und Organisationsebene. „Organisiertes Lernen bedeutet die veränderte Kapazität der Organisation für Neues.“ (Watkins und Marsick 1993 S. 148). Bei ihrer Bewertung der existierenden Forschungsliteratur über lernende Organisationen stellten Mitchell und Sackney (1998) fest, dass solche Organisationen charakterisiert werden durch reflektierende Selbstanalyse stillschweigender Annahmen und Überzeugungen, dem Verständnis für systemische Einflüsse und Zusammenhänge, dem offenen Austausch von Informationen, dem ehrlichen und kritischen Überprüfen von derzeitigen Praktiken, dem Experimentieren mit neuen Praktiken, und das Verständnis für die Unvermeidlichkeit von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten. Durch den Umgang mit Meinungsverschiedenheiten durch Hinterfragen und Lösen von Problemen entwickelt sich ein gemeinsames Verständnis und Sprachmuster.
Lehrer behaupten, dass ihre eigenen Erfahrungen der wichtigste Faktor für die Art und Weise des Unterrichtens ist, gefolgt von Gesprächen mit Kollegen und Schülern über diese Erfahrungen (Dalin, 1993; Hultman & Hörberg, 1994; Richardson, 1994; Scherp, 2003; Scherp & Scherp, 2007). Lehrer und Schulleiter müssen ihr Verständnis für die Art der Probleme verbessern und vertiefen, wenn sie in der Lage sein wollen, ihre Schule zu verbessern. Allerdings gibt es ein Problem mit Erlebnispädagogik im Zusammenhang mit der Entwicklung. Lernen durch eigene Erfahrungen verstärkt bestehende Vorstellungen, unabhängig davon, wie gut oder schlecht diese Vorstellungen die Realität reflektieren (Argyris & Schön, 1974).
Mehr Zeit ist nötig für das Lernen bei und von täglichen Aktivitäten. Sarv (1997) und Sandberg & Targama (1998) betonen, dass wir kritisches Denken in der Organisation fördern und auch das Hinterfragen institutionalisieren sollten
durch die Etablierung einer Routine.
Professionelle Lerngemeinschaften bilden den Kern lernender Organisationen. Stoll und Louis (2007) definieren eine professionelle Lerngemeinschaft als eine integrative Gruppe von Menschen, die motiviert sind durch eine gemeinsame Vision des Lernens, die sich unterstützen und miteinander arbeiten, um Wege zu finden, innerhalb und außerhalb ihrer unmittelbaren Gemeinschaft Arbeitsmethoden zusammen zu erkundigen und gemeinsam neue und bessere Ansätze zu erlernen, so dass das Lernen aller Schüler und Schülerinnen verbessert wird. Die Perspektive von der lernenden Organisation legt den Schwerpunkt auf Erfahrungen aus verschiedenen Lerngemeinschaften, um neue Lösungen anzuregen. Einige neuere Studien zeigen, dass die Arbeit in Lerngemeinschaften ein erfolgreicher Weg ist, um die Leistungen der Schüler in den Schulen zu verbessern.
Timperley und andere (2007) haben eine Meta-Studie basierend auf 97 empirischen Beiträgen über die Auswirkungen der beruflichen Entwicklung der Lehrkräfte auf die Ergebnisse der Schüler durchgeführt. Sie schließen daraus, dass die Teilnahme an jeglicher Form von professionellen Lerngemeinschaften, in denen vorherrschende Diskurse hinterfragt wurden, zu verbesserten Ergebnissen führten. Erfolgreiche Schulleitung wurde gekennzeichnet durch die Organisation einer Umgebung, die Lernmöglichkeiten der Lehrkräfte fördert. Robinson (2007) bestätigt diese Ergebnisse in einer anderen Meta-Analyse von 26 empirischen Studien, die den Zusammenhang zwischen der Art der Schulleitung und den Schülerleistungen herstellt. Die Ergebnisse zeigten, dass die größten Auswirkungen auf Schülerleistung erreicht wurden, wenn die Schulleiter das Lernen der Lehrer förderten und selbst daran teilnahmen. Die Hauptaufgabe der Schulleiter war, eine sinnvolle Lernumgebungen, die sie zu einem tieferen Verständnis der komplexen und verwirrenden Alltagsprobleme führen, für Lehrer zu organisieren.
Sarv (1997) weist darauf hin, dass es nicht genug ist, sich auf traditionelle Kompetenzentwicklung zu konzentrieren, um emanzipatorisches Lernen in einer Organisation zu erreichen. Zwei Dimensionen – die herausfordernde Leitung und das zuhörende und reagierende Leiten – sind die Merkmale einer lernorientierten Schulleitung und werden betont im Zusammenhang mit der lernorientierten Schulentwicklung (Scherp & Scherp, 2007).
In Schweden entstand das Konzept der „problemorientierten Schulentwicklung“ aus einem Versuch, die oben beschriebenen Ideen in die Schulpraxis einzuführen und zu integrieren. Im schwedischen Zusammenhang bezieht sich das Akronym PBS auf ein nationales Forschungs- und Schulentwicklungsnetzwerk welches von 2003 bis 2012 aktiv war, sowie auf ein Entwicklungsmodell, das auf einem Praxisbeispiel im Netzwerk basiert (www.kau.se/pbs).
Wie bei der Aktionsforschung (Rönnerman, 2011; Somekh & Zeichner, 2009; unter anderem) und anderen praxis- und lernorientierten Ansätzen wird Entwicklungsarbeit basierend auf diesem Modell als Problemlösungsprozess gesehen (Hameyer, 2001; Scherp, 2001). Lernen aus früheren Erfahrungen der Teilnehmer und insbesondere die Veränderung in ihren Sichtweisen auf das Problem und die Situationen, wenn diese entstehen, ist das Herzstück dieses Prozesses. Identifikation mit und Beschreibung von verschiedenen Sicht- und Handlungsweisen wird daher als wichtiger Teil der Arbeit angesehen, was die Grundlage für das Lernen herstellt (Für einen tieferen Einblick in die Wichtigkeit der Variation beim Lernen finden Sie zum Beispiel bei Marton & Pang, 2006). Die Betonung auf Variation im Prozess verbindet die ausgeführte Arbeit in diesem Projekt eng mit der Praxis, die innerhalb der traditionellen praxisbezogenen Arbeiten durchgeführt wird (siehe zum Beispiel Holmqvist & Mattisson, 2009; Pang & Lo, 2011; Runesson, 2006). Doch bei der problemorientierten Schulentwicklung ist das Lernen nicht darauf ausgerichtet, eine bestimmte Art, etwas zu sehen, als wirksamer oder einflussreicher anzusehen als die heutigen Sichtweisen (Marton, Runesson & Tsui, 2004), sondern vielmehr darauf, dass neue oder andere Sichtweisen geteilt, ausprobiert und als Teil des Prozesses ausgewertet werden können. Die Tatsache, dass es kein beabsichtigtes Ziel des Lernens gibt (Marton, Runesson & Tsui, 2004) wandelt das Lernen um in offene Sinnstiftung (Weick, 2001) oder den Aufbau eines Wissensprozesses.
Systematischer Wissensaufbau an zwei schwedischen Schulen
Von 2007-2011 nahmen Schulen in Sundsvall am PBS-Netzwerk teil. Neben der Teilnahme am PBS-Netzwerk beschloss der politisch berufene Bildungsverband, den systematischen Wissensaufbau an einer Grund- und einer Hauptschule zu betonen durch die Aufforderung der Mitarbeiter der beiden Schulen, an einem Hochschulstudium namens „Systematischer Wissensaufbau auf Basis von Alltagsproblemen“ teilzunehmen. Das Kurspensum machte 25 Prozent der Vollzeit aus für einen Lehrer und wurde mit 15 Kreditpunkten belohnt.
Die Grundschule hat etwa 250 Schüler von der ersten bis fünften Klasse (7-12 Jahre alt) und die Hauptschule hat etwa 250 Schüler der Klassen sieben bis neun (14 -16 Jahre). Die beiden Schulen waren die am wenigsten attraktiven bei den Schülern in Sundsvall. Die Hauptschule hatte die geringsten Schülerleistungen in der Gemeinde laut der Statistik der Nationalen Agentur für Bildung in Schweden. Es gibt keine entsprechenden Statistik für die Grundschule. Beide Schulen setzten sich zusammen aus Schülern von Haushalten mit niedrigem sozioökonomischen Status. Es gibt eine hohe Rate von Einwanderern in beiden Schulen. 46 Prozent der Schüler waren außerhalb Schwedens geboren.
Die beiden Schulen wurden zusätzlich wirtschaftlich unterstützt, um Vertretungslehrer einzusetzen, wenn sich Gruppen während der Unterrichtsstunden trafen, und um Entwicklungsleiter auf Halbzeitbasis zu ernennen.
Insgesamt sechzig Lehrer, zwei Schulleitern, zwei Entwicklungsleiter und das Forscherteam, in dem die Autoren dieses Beitrags eine anleitende und helfende Rolle einnahmen, waren an dem Projekt beteiligt.
Gestaltung des Kurses
Der Prozess des systematischen Wissensaufbaus, den das Personal an beiden Schulen erlernte und anwendete im Laufe des Kurses, folgte diesen fünf Schritten:
1.Definition eines Problems oder eines Lernthemas gefolgt von der Formulierung einer Forschungsfragestellung;
2. Festlegung der Herkunft zuverlässiger Daten, die eine Grundlage für den Lernprozess bilden;
3.Erkennen von Mustern in den erhaltenen Daten;
4.Verstehen und Erklären der Muster;
5.Überprüfen der Gültigkeit des Wissens durch Tests in der Praxis.
Die Teilnehmer wurden in Untersuchungsgruppen eingeteilt. In jeder Gruppe wurde ein Gruppenleiter gewählt, um die Arbeit der Gruppe zu koordinieren. Gruppen trafen sich für 1,5 Stunden alle zwei Wochen und erhielten oft zusätzliche Zeit während der gemeinsamen Studientage. Als die Gruppen in ihren Forschungsprozessen voranschritten, wurden Vorträge gehalten, um die Teilnehmer in den verschiedenen Phasen zu unterstützt. Nachhilfe von der Universität ergänzte den Kurs. Der Kurs und die Betreuung wurden aufeinander abgestimmt, um Kontinuität beim systematischen Wissensaufbau der Teilnehmer zu schaffen.
Die auftretenden Probleme, Fragen und Dilemmas wurden das Ziel eines parallelen Lern- und Wissensbildungsprozesses, bei dem die Autoren dieser Veröffentlichung in Zusammenarbeit mit Schulleitern und Entwicklungsleitern arbeiteten mit der Absicht, sowohl zur Entwicklung unseres eigenen Verständnis von als auch zum Verständnis anderer von Schulentwicklung auf der Grundlage systematischen Wissensaufbaus und wie solche Prozesse geleitet und unterstützt werden können. Diese Gruppe traf sich einmal pro Monat, bis der Kurs beendet wurde. Die in dieser Veröffentlichung vorgestellten Ergebnisse basieren auf der in dieser Gruppe durchgeführten Arbeiten.
Methoden
Qualitative Forschungsmethoden wurden bei der Analyse der im Rahmen des Projekts gewonnenen Daten verwendet. Daten setzten sich zusammen aus Dokumentationen der Gruppe, Notizen von Tutoren, Entwicklungsleitern und Schulleitern bei Treffen mit den Gruppenleitern sowie formale Berichte von Lehrern und Schulleitern zu jährlichen Lernkonferenzen zwischen 2009-2012. Die Daten wurden analysiert mit Fokus auf Variation der Art und Weise des Denkens und Handelns der Gruppen.
Ergebnisse
Frühere Studien (siehe Scherp, 2013) im Rahmen der in dieser Veröffentlichung beschriebenen Projekt haben gezeigt, dass der Kurs „systematischer Wissensaufbau“ als Gerüst im Schulentwicklungsprozess funktioniert und den Teilnehmern hilft, sich dauerhaft auf ihre Verbesserung zu konzentrieren. Systematischer Aufbau von Wissen auf der Grundlage des fünfstufigen Forschungsprozesses wurde ebenfalls als positive Auswirkungen bewertet für die Zusammenarbeit zwischen Lehrerinnen und Lehrer der Schule und für die Stärkung der Lehrer-Schulleiter-Beziehung.
Eine große Mehrheit der Lehrer, 85 %, stimmten ganz oder teilweise zu, dass ihre Arbeit mit systematischem Wissensaufbau das Interesse an anderen Sicht- und Handlungsweisen sowie ihre Motivation steigerte, auch sich weiterhin über das Lernen und Lehren in systematischer Weise fortzubilden. 75 % stimmten zu, dass die Lernaktivitäten die tägliche Arbeit unterstützen und 78 % sagten, dass es die Zusammenarbeit zwischen den Lehrern vertiefte.
Jedoch als Forscher, Dozenten und Tutoren waren wir auch in der Lage, einige Probleme zu identifizieren bezüglich der wissensbildenden Prozesse der Gruppen sowie der Variationen der Ergebnisse der Arbeit. Die identifizierten Schwierigkeiten dienten als Ausgangspunkt für die hier präsentierte Studie.
Eine Schwierigkeit, die sowohl von den Lehrern als auch von der Schulleitung festgestellt wurde, war die Arbeitsbelastung. Der Umgang mit der sehr intensiven Schularbeitsbelastung während der Erforschung der eigenen Arbeitspraxis war sehr anspruchsvoll. Genauer gesagt haben wir festgestellt, dass einige der Lehrer Schwierigkeiten hatten, herauszufinden, was am wichtigsten war für sie und der Entwicklung von Wissen. Schwierigkeiten bei der Trennung von Prozess und Ergebnis oder Ziel machte es ihnen auch schwer, Forschungsfragen zu formulieren über die Beziehung zwischen der Art des Lehrens und den Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler. Eine weitere Schwierigkeit war die Formulierung einer Fragestellung, die auf wissenschaftlich zuverlässige Weise untersucht werden konnte. Diese Probleme waren eng verbunden mit der Schwierigkeit, verlässliche Daten zu erhalten, Muster in Daten zu finden, und Schlussfolgerungen auf Grundlage der Ergebnisse dieser Aktivitäten zu formulieren.
Im folgenden Abschnitt werden die relevanten Erkenntnisse über Probleme, die innerhalb der gemeinsame Lehrergruppenarbeit zum systematischen Wissensaufbau in den Untersuchungsgruppen auftraten, beschrieben.
Wahl und Konstruktion einer Forschungsfrage
Durch unsere Analyse, durch kollektive Reflexion bei den Anleitungstreffen und durch die Schulleitergruppe erfuhren wir, dass die Motivation und die Fähigkeit der Weiterentwicklung in hohem Maße davon abhängt, was zu Beginn des Prozesses passiert. Außer der allgemeinen Schwierigkeit, den Fokus von der Planung (neuer Tätigkeiten) auf das Lernen (aus verschiedenen Aktivitäten) zu verlegen, um neue Sichtweisen mit größerem Potenzial für den Umgang mit Problemen in der täglichen Praxisalltag zu entwickeln, stellten wir auch fest, dass systematischer Wissensaufbau mehr oder weniger herausfordernd war für Lehrer, je nach Wahl des Themas. In der Tat waren viele der Probleme, die während des gesamten Prozesses auftraten, auf die eine oder andere Weise mit dieser Herausforderung verbunden.
Allgemein gesagt waren Gruppen, die ein echtes Problem wählten, wie z. B. Schüler mit mangelnder Motivation oder Schulschwänzer, oft motivierter als Gruppen, die eine Frage auf Grundlage eines allgemeinen Interesses wie Lernumgebung oder einer bestimmten Methode wie Genre-Pädagogik gestellt hatten.
Darüber hinaus schien die Konstruktion der Frage wichtig, nicht nur für die Qualität der Arbeit, sondern auch für das Engagement und die Motivation der Gruppe. Beim Vergleich und bei der Reflexion der Fragen die von den Gruppen in gemeinsamen Anleitungstreffen erstellt wurden, stellten sich einige Ansätze als erfolgreicher als andere heraus. Zum Beispiel stellte es sich als nützlich heraus, wenn die Frage auf einem prozessorientierten Verb – wie organisieren, anordnen, kommunizieren usw., also ein Verb das in Verbindung steht mit der Lehrertätigkeit – und einem ergebnisorientierten Gegenstand – wie die Fähigkeit (des Schülers z. B. mathematische Probleme) zu kommunizieren oder verstehen – aufbaute.
Darüber hinaus wurde festgestellt, dass es hilfreich war, wenn die Frage ein Subjekt enthielt, vorzugsweise „wir“. Zum Beispiel war die Frage „Wie können wir eine Lernumgebung schaffen, die Schüler bei der Entwicklung von mathematischer Argumentation hilft?“ sinnvoller als einfach nur 2 Stichworte zu nennen wie „Lernumgebung oder Mathematik“, wie dies zuerst in einer der Gruppen formuliert wurde.
Ein weiteres Beispiel: „Wie können wir Computer verwenden, um Schüler anzuregen, mehr zu schreiben?“ war hilfreicher als „schriftlich und Computer-Technologie“, was zunächst ein erster Vorschlag einer anderen Gruppe war.
Handhabung von Variation
Allgemein fanden wir heraus, dass die Fähigkeit der Lehrer, Variation zu handhaben und zu nutzen beim gemeinsamen Lernen, sich in einer Art und Weise unterschied, die von entscheidender Bedeutung für den Prozess erschien. Unterschiede traten erstmals zu Beginn des zweiten Schritts auf (Festlegung der Herkunft zuverlässiger Daten, die Grundlage des Lernprozesses bilden), die in der Regel mit einem Lerndialog (Scherp, 2003a) begannen. In diesen Dialogen teilten Lehrer ihr Verständnis und ihre relevanten Erfahrungen in Bezug zur Frage. Diese spezielle Aktivität kann als ein Weg angesehen werden, um Daten zu erhalten. Geschult in der Variationstheorie wussten die Lehrer, dass sie auf Unterschiede in Sichtweisen achten und über diese Variationen sowie über Handlungsweisen in verschiedenen Situationen diskutieren sollten. Trotzdem haben wir festgestellt, dass Variation von den verschiedenen Gruppen sehr unterschiedlich gehandhabt wurde.
Durch die Analyse der verwendeten Strategien waren wir in der Lage, drei deutlich voneinander unterscheidbare Formen des Umgangs mit Variation zu identifizieren. Eine Form war, die Variation einfach zu ignorieren oder so zu tun, als ob sie nicht existierte. Eine andere Form war, die Variation zu leugnen oder ‚weg zu erklären’: „Wir verwenden evtl. unterschiedliche Konzepte und reden darüber auf unterschiedliche Art und Weise, aber eigentlich meinen wir dasselbe.“ Eine dritte Form, und diese erwies sich als die häufigste Art des Umgangs mit Variation, war, diese als Tatsache zu erkennen und zu akzeptieren: „Wir denken und tuen Dinge unterschiedlich.“ Die Bestätigung jedoch hatte keinen großen Einfluss auf die Lerngruppe, denn Variation wurde oft begründet mit Aussagen wie „Es gibt keinen richtigen Weg“ oder „Kein Weg ist besser als der andere“. Keine der Gruppe war in der Lage, konstruktiv mit Variation umzugehen ohne Anleitung.
Nachdem wir die Bedeutung von Variation bereits betont haben, waren wir gespannt, mehr darüber zu erfahren, wie Variation als Grundlage für Wissensaufbau genutzt werden kann. Nach unserem Verständnis ist die Suche nach Mustern in Variation eine wichtige Aufgabe in dieser Angelegenheit. Das Erfassen relevanter Muster in den Daten hatte sich jedoch als schwierig erwiesen. In einigen Gruppen entwickelte sich das Finden von Muster zu einer spannenden Tätigkeit an sich, unabhängig von der Relevanz für die Frage der Untersuchung. Dieses Problem erschien in mehreren Fällen in Verbindung mit der Fähigkeit der Gruppen, mit Variation umzugehen.
Das folgende ist ein vereinfachtes Beispiel auf der Grundlage mehrerer Dialoge in einer Gruppe, die sich mit der Frage beschäftigte: „Wie kann eine Lernumgebung geschaffen werden, die Schülern bei der Entwicklung mathematischer Argumentation hilft?“. In Lerndialogen hatten die Lehrer individuelle Schlussfolgerungen, die auf sachdienlichen früheren Erfahrungen basierten, gemeinsam geteilt und dokumentiert, wie im Folgenden dargestellt:
Lehrer 1: Die Schüler sind aktiver, wenn sie im Labor arbeiten.
Lehrer 2: Kinder verwenden mathematisches Denken, wenn sie mit glaubwürdigen Problemen konfrontiert werden, zum Beispiel wenn wir bei Fritids (im Hort) backen.
Lehrer 3: Ich habe gelernt, dass mathematisches Denken der Schüler von Gruppenarbeit profitiert, weil sie dann ihre Ideen anderen erklären müssen. Gleichzeitig erklären sie sich selbst, wie sie wirklich denken.
Als eine Gruppen aufgefordert wurde, über ihre gemeinsam erarbeiteten Gruppenerkenntnisse beim monatlichen Anleitungstreffen zu berichten, wurden die einzelne Schlussfolgerungen der Lehrer einzeln aufgelistet, was es sehr schwierig machte für die Gruppe, sich als Gruppe weiter zu entwickeln.
Daher wurden diese Gruppen, die sich in dieser Situation befanden, bei den Anleitungstreffen gebeten, entweder aus allen Schlussfolgerungen eine gemeinsame Schlussfolgerung zu formulieren oder eine Schlussfolgerung für die weitere Ausarbeitung zu wählen. In diesem speziellen Fall wurde das Problem durch die Integration der Argumente gelöst:
Gruppe: Das mathematische Verständnis von Schülern wird stimuliert, wenn Schüler die Gelegenheit erhalten, reale Probleme gemeinsam mit anderen Schülern in einer authentischen, versuchsorientierten Umgebung zu lösen.
Ohne diese Hilfe zeigten sich Gruppen oft eifrig, mit dem nächsten Schritt fortzufahren und Interviews oder Beobachtungen zu starten, stießen aber bald wieder auf die gleichen oder ähnliche Muster der Variation innerhalb des nächsten Datensatzes.
Nach der Möglichkeit, über diese Problematik nachzudenken, waren die Schulleiter der Lage, Lehrern einige Richtlinien und eine tragfähigen Struktur zu geben basierend auf Erkenntnissen und Erfahrungen im Umgang mit den Schwierigkeiten.
(Abbildung 1: Struktur zur Definition von Problemen)
Wie in der obigen Abbildung 1 gezeigt, werden die Definition eines Problems und die Formulierung einer Forschungsfrage nicht in einem einzigen schnellen Schritt durchgeführt, sondern begründen eher einen Prozess, der auf verschiedenen Aktivitäten beruht. Die ersten Gruppen wurden gebeten, das Problem so zu beschreiben, wie es in der täglichen Praxis erscheint und zu erklären, warum es wichtig ist, mehr darüber zu erfahren durch Entwicklung eines allgemeinen oder spezifischen Lernziels. Dann wird das Problem in eine Lernfrage umgewandelt wie zuvor vorgeschlagen. Diese Lernfrage dient dann als Ausgangspunkt für einen Lerndialog, bei dem die Gruppen ihre gesammelten Erfahrungen und verschiedenen Ansichten erkunden mit dem Ziel der Formulierung entweder einer einzigen Antwort auf die Frage auf Grundlage gemeinsamer Schlussfolgerungen oder einiger verschiedener Antworten für weitere Betrachtungen (Integration oder Auswahl). Bevor die Gruppen mit dem zweiten Schritt im Prozess (Festlegung der Herkunft der Daten, die Grundlage des Lernprozesses bilden) fortfahren konnten, wurden die Antworten in eine oder mehrere Forschungsfragen umgewandelt.
Am Ende des ersten Jahres wurde diese Struktur Teil einer regulär angewandten Methode und integriert in die Dokumentation, die für die Planung des systematischen Wissensbildungsprozesses verwendet wurde.
Zu einem gewissen Grad änderte diese neue Praxis auch das Konzept zur Definition von Problemen. Wurde es nun als eine gut definierte Aufgabe im ersten Schritt des Prozesses gesehen, bliebt offen, ob diese Methode auch Teil des Lern- oder Wissensaufbauprozesses werden würde.
Fazit
Die Ergebnisse dieser Studie ergänzen die Erkenntnisse bisheriger Forschungen im Rahmen dieser und anderer Projekte auf der Basis der gleichen Perspektive und tragen zum Verständnis über praxisorientierter Lern- und Wissensbildungsprozesse bei. Die Ergebnisse tragen auch zu einem besseren Verständnis der Leitung bei durch die Beleuchtung der Rolle der Schulleitung in Bezug auf diese Prozesse.
Durch das Lernen von und über die Arbeit und durch die Zusammenarbeit mit Lehrerinnen und Lehrern beim systematischen Wissensaufbau entwickelte die Schulleitung Managementfähigkeiten in einigen wichtigen Bereichen. Waren Schulleiter zu Beginn Moderatoren, so entwickelten sie sich später zu lernenden Schulleitern aufgrund ihrer Fähigkeit, einen systematischen Wissensaufbauprozess zu leiten.
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse empfiehlt es sich, dass Schulleiter zumindest zu einem gewissen Grad die Rolle eines Forschungsleiters innerhalb ihrer eigenen Schule übernehmen. Dies ist jedoch ein Vorschlag, der noch weiter ausgearbeitet und in Bezug auf andere relevante Aspekte diskutiert werden muss. Angesichts der hohen Arbeitsbelastung und bereits anspruchsvollen Aufgabe eines Schulleiters ist dies eine echte Herausforderung. Es lenkt auch die Aufmerksamkeit auf die potenziell problematische Rolle des Lehrers als Forscher, der Schritte und Methoden anwendet ähnlich wie in der Forschung, ohne tieferes Verständnis der professionellen Forschung zu besitzen (Carlgren, 2003; Tiller, 2009).
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